Das Bezirksamt

Die Rolle der lokalen Verwaltung

Rad im Getriebe der Diktatur

Das Bezirksamt Lichtenfels war als Behörde ein Rad in der großen Maschinerie der Unterdrückung. Es ist anzunehmen, dass ein Großteil der Alltagstätigkeiten im Bezirksamt nach der Etablierung der Diktatur schlicht weitergingen. Und die Anweisungen bezüglich der jüdischen Bevölkerung waren umzusetzen und wurden auch umgesetzt, oft durch Anweisung an die Bürgermeister vor Ort.

Ob das bereitwillig oder mit Widerwillen geschah, wird von Person zu Person unterschiedlich gewesen sein – wir wissen es nicht. In einer totalitären Diktatur sind die Spielräume für eigene Entscheidungen gering, das Risiko persönlicher Nachteile hoch.

Das Bezirksamt Lichtenfels in der Kronacher Straße (um 1931; Stadtarchiv Lichtenfels)

Sand im Getriebe: Wilhelm Aumer

Wilhelm Aumer war Beamter in der Verwaltung des Bezirksamtes seit 1913 und bis 1933 zum Bezirksamtsinspektor aufgestiegen. Da er sich bis 1935 weigerte, in die NSDAP einzutreten, wurde er unter Druck gesetzt und mehrfach bei Beförderungen übergangen. Er war u.a. für das Passwesen verantwortlich.

Über sein Wirken dort soll ein Zeitzeuge zu Wort kommen: Prof. Dr. Walter S. G. Kohn, 1923 in Lichtenfels geboren, der letzte jüdische Schüler an der „Hans-Schemm- Oberrealschule“ (dem späteren Meranier-Gymnasium), der mit seiner Mutter über England nach USA emigrieren konnte.

Die paar Leute, die bis zum November 1938 noch in juedische Laeden gingen, die auf unsere Strassenseite kamen um uns zu gruessen, das waren Helden in der damaligen Zeit. […] Es gab eine Handvoll Lichtenfelser, die bis zuletzt zu uns gehalten haben, nicht viele und nicht durch große Demonstrationen. Die getraute sich keiner mehr. Aber ein paar wenige Leute liessen uns wissen, dass sie bei uns standen — und viele, viele fielen ihrer eigenen Feigheit zum Opfer.

Herr Aumer sass im Bezirksamt und hatte die Paesse unter sich. […] An eine Behörde gehen zu können ohne angeschnauzt zu werden, war eine Seltenheit. […] Ich wusste nicht wohin ich im Ausland gehen wuerde und so baten wir Herrn Aumer, den Pass für zwei Laender, England und Nordamerika auszustellen.

Darf ich zwar nicht, aber man darf heute viel nicht“, sagte er und tat es. All das waren kaum Heldentaten, aber solche kleinen Episoden taten aeusserst wohl und erleichterten das Leben sehr.

Brief Walter S.G. Kohn an Susanne Troche, 14.09.1993

Erst in diesem Licht werden Eintragungen Wilhelm Aumers in anderen Pässen zum Zeugnis entschlossener Hilfe: Den Vermerk „Der Reisepaß ist auch gültig für Frankreich“ haben wir im Pass von Frieda Marx geb. Oppenheimer gefunden.

Wilhelm Aumer

Claude (Klaus) Bamberger schildert in seinem Essay „Art“ eine andere mutige Tat Wilhelm Aumers: Im Oktober 1938 schlich er mitternachts zum Haus der Bambergers und warnte die Witwe Henrietta Bamberger vor der geplanten Beschlagnahme ihres Reisepasses. Er könne das allenfalls zwei Tage hinauszögern. Er beschwor sie, möglichst schnell das Land zu verlassen, da ihr Leben in Gefahr sei. Sie floh unter Aufgabe all ihren Besitzes am nächsten Tag noch nach USA, bevor man ihr den rettenden Pass abnehmen konnte.

Wir haben einen bemerkenswerten Einzelfall, der von Menschlichkeit gegen den Willen des Regimes zeugt, gefunden. Dieser soll aber den Grundzusammenhang nicht relativieren: Die Behörde als ganze funktionierte sicher im Sinne der Machthaber.

Wilhelm Aumer war eine Ausnahme.